Digitales

Mythen der digitalen Barrierefreiheit

Weniger ist mehr: Warum Webseiten keine Funktionen zum Vorlesen oder Vergrößern von Texten brauchen

Holzfigur hält in jeder Hand einen Zettel, links Daumen hoch, rechts Daumen runter

Was macht eine Webseite wirklich barrierefrei? Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass eine Webseite erst barrierefrei ist, wenn sie über spezielle Funktionen verfügt. Gemeint sind zum Beispiel Funktionen zur Textvergrößerung oder ein Kontrastumschalter. Auch eine Vorlesefunktion wird oft auf Webseiten angeboten. Viele halten diese Funktionen für zwingend notwendig, obwohl sie nicht gesetzlich verpflichtend sind. Wir möchten in diesem Artikel daher diesen Mythen auf den Grund gehen.

Digitale Barrierefreiheit ist wichtig, um allen Menschen den Zugang zu Informationen im Internet zu ermöglichen. Doch es gibt viele Missverständnisse darüber, was wirklich notwendig ist, um eine Webseite barrierefrei zu gestalten. 

Mythos 1: Eine Vorlesefunktion muss angeboten werden

Nein, das stimmt nicht. Solche Funktionen lesen den Text einer Webseite laut vor und wirken auf den ersten Blick wie eine hilfreiche Unterstützung für Menschen mit einer Sehbehinderung. Häufig glauben Webseitenbetreiber, dass eine Vorlesefunktion zwingend erforderlich ist, um Barrierefreiheit zu gewährleisten. Tatsächlich sind sie jedoch nur ein freiwilliges Extra.

Blinde Personen, die auf das Vorlesen angewiesen sind, nutzen in der Regel spezielle Software, sogenannte Screenreader. Diese Programme sind auf ihren Geräten installiert und lesen die Inhalte einer Webseite automatisch vor. Die eigentliche Aufgabe eines barrierefreien Webdesigns besteht daher darin, die Webseite technisch so zu gestalten, dass sie ohne Probleme mit einem Screenreader funktioniert. Eine spezielle Vorlesefunktion ist dafür nicht notwendig.

Eine Vorlesefunktion kann auch für Menschen sinnvoll sein, die mit dem Lesen von Texten Schwierigkeiten haben. Diese können auch die Vorlesefunktion des Browsers nutzen. Hier reicht es aus, zum Beispiel auf einer Hilfeseite, diese Möglichkeit zu erklären. Das hat den Vorteil, dass die Nutzenden sich die Texte auf allen Webseiten vorlesen lassen können, die mit dem Browser aufgerufen werden. Eine Vorlesefunktion, die auf einer Webseite eingebunden ist, liest immer nur die Texte vor, auf der sie eingerichtet ist.

Mythos 2: Eine Funktion zur Vergrößerung von Schrift ist notwendig

Nein, auch das stimmt nicht. Eine spezielle Funktion zur Vergrößerung von Schrift ist für die Barrierefreiheit nicht erforderlich. Menschen, die auf größere Schrift angewiesen sind, können dies in der Regel direkt über die Einstellungen ihres Browsers steuern. Die Möglichkeit, die Schrift über die Browsereinstellungen zu nutzen hat den Vorteil, dass diese für alle Webseiten gelten. So muss diese nicht auf jeder Webseite neu eingestellt werden. Deshalb sind zusätzliche Funktionen auf der Webseite dafür nicht notwendig.

Auch Anpassungen wie die Schriftart oder Schriftfarbe sollten problemlos über die Browser-Einstellungen möglich sein.

Eine gut gestaltete Webseite sollte daher von Anfang an so umgesetzt sein, dass sie auch bei vergrößerter Schrift oder anderen Anpassungen problemlos lesbar bleibt. Falls dies aus bestimmten Gründen nicht möglich ist, können zusätzliche Funktionen, zum Beispiel zur Schriftvergrößerung, eine sinnvolle Ergänzung sein. Sie bleibt jedoch ein freiwilliges Hilfsmittel. Die technische Umsetzung sollte deshalb so gestaltet sein, dass solche Zusatzfunktionen nicht gebraucht werden.

Mythos 3: Ein Kontrastumschalter löst alle Probleme

Ein hoher Kontrast zwischen Text und Hintergrund ist besonders wichtig für Menschen mit Sehbehinderungen. Es gibt klare Vorgaben zu den Kontrastverhältnissen. Sie müssen eingehalten werden, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten.

Das Design und die Farbgebung sollten nach Möglichkeit so gestaltet sein, dass die Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllt werden. Falls dies nicht möglich ist, kann ein Kontrastumschalter eine sinnvolle Ergänzung sein, um alternative Kontraste bereitzustellen. 

Wichtig ist jedoch: Mindestens eine Version der Webseite muss die Anforderungen an die Barrierefreiheit vollständig erfüllen. Im besten Fall sollte das die Version sein, die keinen Kontrastumschalter benötigt. Hält eine Webseite die Kontrastanforderungen nur mit eingeschaltetem Kontrastumschalter ein, müssen so auch alle anderen Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllt sein.

Mythos 4: Deutsche Gebärdensprache und Leichte Sprache sind Pflicht

Das ist nicht korrekt. In Sachsen-Anhalt besteht keine gesetzliche Verpflichtung, auf Webseiten Inhalte in Deutscher Gebärdensprache oder in leichter Sprache anzubieten. Die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) verpflichtet die öffentlichen Stellen des Bundes, bestimmte Informationen in Deutscher Gebärdensprache und in leichter Sprache bereitzustellen. 

In Sachsen-Anhalt gelten stattdessen das Behindertengleichstellungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (BGG LSA) und die Behindertengleichstellungsverordnung des Landes Sachsen-Anhalt (BGGVO LSA). Diese Gesetze fordern, dass Webseiten von öffentlichen Stellen barrierefrei sind. Nach Paragraf 15 Absatz 5 BGG LSA sollen die Träger der öffentlichen Verwaltung Informationen vermehrt in Leichter Sprache bereitstellen. Träger der öffentlichen Verwaltung sind einige der öffentlichen Stellen. Das sind um Beispiel Ministerien, Ämter des Landes und der Gemeinden und Hochschulen. Informationen in Leichter Sprache müssen aber nicht zwingend auf Webseiten und Apps veröffentlicht werden. 

Obwohl es keine gesetzliche Pflicht in Sachsen-Anhalt gibt, ist es dennoch sinnvoll, Inhalte in Deutscher Gebärdensprache oder Leichter Sprache anzubieten. Dies ist insbesondere für Menschen wichtig, deren Muttersprache die Deutsche Gebärdensprache ist und Menschen, die sich schwer mit dem Lesen deutscher Texte tun. 

Mythos 5: Overlay-Tools machen eine bestehende Webseite barrierefrei

Falsch! Ein Overlay-Tool ist eine Software, die den Quellcode einer Webseite verändern soll, um die Barrierefreiheit zu verbessern. Die Funktionen des Tools werden oft in einem separaten Menü angeboten. Dieses kann häufig über eine Schaltfläche am Rand der Webseite aufgerufen werden. Diese Tools bieten in der Regel Funktionen wie die Anpassung von Kontrasten und Schrift oder eine Vorlesefunktion.

Obwohl Overlay-Tools immer häufiger Anwendung finden, sind sie oft ineffektiv und können sogar neue Barrieren schaffen. Sie greifen meist nur oberflächlich in die Struktur einer Webseite ein, ohne die zugrundeliegenden Probleme anzugehen. So wird häufig nur eine visuelle Anpassung vorgenommen, die jedoch keine echte technische Barrierefreiheit gewährleistet. 

Overlay-Tools bieten daher keine vollständige Lösung für digitale Barrierefreiheit. Sie ersetzen nicht die grundlegende, technische Gestaltung einer barrierefreien Webseite. Eine barrierefreie Webseite erfordert eine gut strukturierte und technisch zugängliche Webseite, die von Anfang an für alle Menschen optimiert wird.
Weitere Informationen zu Overlay-Tools sowie deren Vor- und Nachteile finden Sie in unserem Artikel zu Overlaytools.

Zusammenfassung

Digitale Barrierefreiheit erfordert mehr als nur das Hinzufügen von ein paar Funktionen oder Tools. Eine Vorlesefunktion oder eine Funktion zur Schriftvergrößerung können eine hilfreiche Unterstützung sein. Sie sind nicht gesetzlich verpflichtend. Diese Funktionen können jedoch auch in den Browsern eingestellt werden. Sie müssen nicht auf jeder Webseite einzeln installiert werden.  

Die Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit ist eine immer wieder zu erledigende Aufgabe. Sie beginnt mit der Planung und Entwicklung. Sie ist ein ständiger Begleiter in der redaktionellen Arbeit. Eine gesetzeskonforme Umsetzung der Webseite einer öffentlichen Stelle kann deshalb nur erreicht werden, wenn die Anforderungen grundsätzlich und von Anfang an beachtet werden. Unser Leitfaden für die Ausschreibung barrierefreier Webseiten hilft Ihnen dabei.

Weitere Mythen

Alte PDF-Dokumente müssen nicht barrierefrei sein.

Das stimmt nicht ganz. Grundsätzlich müssen alle Dokumente, die auf Webseiten veröffentlicht werden, barrierefrei sein. Nur Dokumente, die vor dem 23. September 2018 veröffentlicht wurden, müssen nicht barrierefrei sein. Sie müssen aber dann barrierefrei gestaltet werden, wenn sie für ein aktives Verwaltungsverfahren der öffentlichen Stelle erforderlich sind. 

Weitere Informationen finden Sie auf unserer Unterseite Gesetzliche Grundlagen für Dokumente.

Nein, ganz so einfach ist es leider nicht. Es gibt zwar eine Reihe von Kriterien, die Sie mit Hilfe von Prüfwerkzeugen automatisch oder zumindest zum Teil automatisch testen können. Ein großer Teil der Kriterien muss jedoch manuell von einem Menschen beurteilt werden. Wenn Sie ein gewisses IT-Verständnis mitbringen, können Sie diese Beurteilung selbst vornehmen. Dabei helfen Ihnen verschiedene Prüfwerkzeuge.

Weitere Informationen finden Sie auf unserer Unterseite zum Testen von Webseiten.

So einfach funktioniert es leider nicht. Zwar bieten wir Ihnen auf unserer Unterseite zu Checklisten eine erste Anlaufstelle zu den wichtigsten Themen. Allerdings ist die digitale Barrierefreiheit bei Webseiten sehr umfangreich und nicht in einer einzigen Liste zu erfassen. Dennoch bieten die Checklisten einen guten Einstieg in das Thema. Sie ersetzen aber nicht eine ausreichende Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Barrierefreiheit. 

Ihre Ansprechpartnerin

Foto von Kathrin Wille

Kathrin Wille
Telefon: 0 39 23 / 7 51 - 81
Nutzen Sie das Formular auf der Seite Kontakt Überwachungsstelle, um eine Nachricht an Frau Kathrin Wille zu übermitteln.